1. Spezifische Alternativhypothese und Effektgrösse

Im Rahmen unseres Einführungsbeispiels soll gezeigt werden, was wir unter einer spezifischen Alternativhypothese verstehen und was wir gewinnen, wenn wir der Arbeitshypothese H0 eine spezifische Alternativhypothese gegenüberstellen.

Wir erinnern uns: In der Eichpopulation 10-11jähriger mitteleuropäischer Kinder sind die Leistungen in einem eingeführten Agilitätstest mit den Parametern = 150, = 10 näherungsweise normalverteilt.

evor wir nun die mittlere Leistung einer Stichprobe verhaltensauffälliger Kinder von 10-11 Jahren ( = 152, s = 9; n = 49) mit dem Mittelwert der Eichpopulation vergleichen, muss aus inhaltlicher Sicht entschieden werden, wie gross der Unterschied zwischen dem Mittelwert der Eichpopulation und dem Mittelwert , der hinter der Stichprobe stehenden Population verhaltensauffälliger Kinder sein muss, damit von einem inhaltlich relevanten Unterschied zwischen Population und Stichprobe gesprochen werden kann.

Von einem Experten der Sonderpädagogik und Kenner des betreffenden Testverfahrens erfahren wir, dass der höhere Mittelwert der Stichprobe nur vernünftig interpretiert werden kann, wenn diese aus einer Population stammt, deren Mittelwert um mindestens 3 Punkte über demjenigen der Eichpopulation liegt.

Wir benutzen diese inhaltliche Information für die Formulierung einer spezifischen Alternativhypothese H1 die postuliert, dass die Stichprobe aus einer Population mit dem Mittelwert 153 und der Standardabweichung = = 10 stammt. Damit stellen wir unserer Arbeitshypothese eine ganz spezifische Alternative gegenüber:

Arbeitshypothese H0:;
Spezifische Alternativhypothese H1:

Mit der spezifischen Alternativhypothese haben wir den minimalen Effekt festgelegt, der für eine sinnvolle inhaltliche Interpretation erforderlich ist.

Für die formale Beschreibung dieses minimalen Effektes benutzen wir die Effektgrösse. [effect size].

Die Effektgrösse beschreibt die aus inhaltlichen Gründen geforderte minimale Differenz ( - ) die, im Hinblick auf die Vergleichbarkeit verschiedener Untersuchungen, mit der Standardabweichung des untersuchten Merkmals normiert wird. Für unseren einfachen Fall ist die Effektgrösse wie folgt definiert:

Eine Effektgrösse dieser Ausprägung wird als gering bezeichnet. Dies deshalb, weil bei einem Merkmal mit einer Standardabweichung von 10 Punkten für eine sinnvolle Interpretation nur gerade eine Differenz von 3 Punkten notwendig ist: Schon ein - im Vergleich zur Standardabweichung des Merkmals - geringer Effekt, so sagen wir, ist inhaltlich relevant.

Mit der Wahl einer spezifischen Alternativhypothese H1 haben wir festgelegt, wie gross der Unterschied zwischen und sein muss, damit wir von einem inhaltlich bedeutungsvollen Effekt sprechen können.

In der Praxis erfordert die sachgerechte Wahl von H1 eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit der Definition und Charakteristik des interessierenden Merkmals. Der Einsatz lohnt sich aber. Ein festgelegter minimaler Effekt erleichtert die Konzeption einer Untersuchung und die Interpretation der Ergebnisse ganz entscheidend.

Um Effekte über verschiedene Untersuchungen vergleichbar zu machen, normieren wir die Differenz ( - ) mit der Standardabweichung des Merkmals und kommen so zur Effektgrösse.

Diese Definition der Effektgrösse haben wir uns im Rahmen eines einfachen Beispiels zum Vergleich eines Stichprobenmittelwertes mit einem Populationsmittelwert überlegt. Zudem sind wir von der idealisierten Bedingung ausgegangen, dass sich die Verteilungen des Merkmals unter H0 und H1 nur im Mittelwert und nicht in der Varianz unterscheiden.

Effektgrössen können im Zusammenhang mit allen entscheidungsstatistischen Verfahren definiert werden. Da in der Praxis aber die idealisierte Bedingung identischer Varianzen unter H0 und H1 nicht erfüllt ist, müssen die Bestimmungsformeln korrigiert werden. Wir ersparen uns die Herleitung dieser Formeln und begnügen uns — neben dem grundsätzlichen Verständnis — damit, die entsprechenden Formeln in der Tabelle "Effektgrösse und optimaler Stichprobenumfang" nachzusehen.

Werfen Sie einen Blick auf diese Tabelle.

Sie stellen fest, dass die Tabelle auch die im Forschungsalltag etablierte Klassifikation für die Ausprägung der Effektgrösse zeigt.

Die Angaben zu den optimalen Stichprobenumfängen können wir an dieser Stelle noch nicht verstehen, dies wird sich bald ändern.

Bevor wir aber darauf eingehen können, müssen wir noch kurz auf einen weiteren Vorteil spezifischer Alternativhypothesen zu sprechen kommen.